Die Grundlagen des Knisterns

Der Austausch von sexuellen Vorstellungen und Wünschen fällt selbst sehr vertrauten Paaren oft schwer. Aber vielleicht ist das auch gut so?

Erotischen Vorstellungen und Wünsche

Stellen Sie sich bitte einmal vor, Sie sollten das erotische Profil Ihrer Partnerschaft durch zwei Kreise veranschaulichen. Wie würden Sie diese beiden Kreise zeichnen:

  • Deckungsgleich – weil sich Ihre erotischen Vorstellungen und Wünsche ziemlich genau mit denen Ihres Partners/Ihrer Partnerin treffen?
  • Oder unverbunden nebeneinander – weil Ihre erotischen Vorstellungen und Wünsche grundverschieden sind?
  • Oder so, dass die beiden Kreise eine größere oder kleinere Schnittmenge aufweisen – weil Ihre erotischen Vorstellungen und Wünsche sich teilweise treffen und teilweise nicht?

Und nun stellen Sie sich bitte vor, Ihr Partner/ Ihre Partnerin würde Ihnen genau diese Zeichen-Aufgabe stellen: Würde Sie ihm/ihr Ihre „ehrliche“ Zeichnung zeigen und erklären? Oder würden Sie ihm/ihr lieber eine andere Zeichnung präsentieren?

Nicht, dass ich Sie der Lüge überführen will, keineswegs! Trotzdem gehe ich einfach davon aus, dass Sie Ihrem Partner/Ihrer Partnerin etwas anderes sagen würden, als Sie denken – und zwar aus dem einfachen Grund, weil Sie sich lieben! Sie wissen, was Sie einander bedeuten. Sie wissen, dass die Basis einer Partnerschaft weniger erotisches Geknister ist als ganz andere, konkrete Alltäglichkeiten: Wer holt Karli vom Turnen ab? Bringst du auf dem Heimweg die Getränke mit? Hilf’ mir doch bitte beim Lohnsteuerjahresausgleich! Sie wissen, dass es in einer Partnerschaft darauf ankommt, sich aufeinander verlassen zu können, „berechenbar“ für den anderen zu sein. Dass Intimität heißt, der Partnerin die Monatsbinden mitzubringen oder dem Partner mit der Magen­Darm-Grippe frische Wäsche hinzulegen. Sie haben vielleicht in schweren Zeiten Nähe und Zuwendung von Ihrer Frau/Ihrem Mann erfahren, ohne sich groß erklären zu müssen. Sie schätzen die Harmonie, das Aufeinander-eingespielt-Sein; ohne das könnte ja der oft so chaotische Alltag nicht klappen.

Ich habe da noch andere Ideen …

Es gibt also gute Gründe, die eingangs gestellte Frage für Ihren Partner/Ihrer Partnerin anders zu beantworten, als Sie wirklich denken. Stellen Sie sich nur vor, was passieren würde, würden Sie Ihrem Mann/Ihrer Frau sagen: Du, was wir da miteinander machen, ist zwar schön. Aber ich habe da noch ganz andere Ideen… Nicht auszu­denken!

Sexualität ist ein heikles Terrain und extrem störanfällig. Die gegenseitige Verletzungsgefahr ist immens. Gerade weil dieser Bereich so störanfällig ist, retten wir uns lieber auf sicheres Terrain. Würden Sie jetzt wirklich sagen, was Sie denken – Ihr Partner/Ihre Partnerin könnte entsetzt sein, beleidigt, gekränkt. Oder könnte er/sie vielleicht auch ein Glitzern in den Augen bekommen? Vielleicht. Aber wissen kann man das nie.

Deshalb entscheiden wir uns meist lieber für den kleinsten gemeinsamen Nenner.

Falls Sie tatsächlich etwas anderes gedacht haben, als Sie Ihrem Mann/Ihrer Frau sagen würden: Könnte es sein, dass Sie dabei nicht an kuschelige Nähe gedacht haben, sondern eher an etwas ganz anderes? Wie gesagt, ich fordere Sie keineswegs auf, das zu benennen; ich will Ihnen nur sagen, dass Sie mit dem, was Sie nicht sagen, eve­tuell die andere Seite der Sexualität im Visier haben: knisternde Erotik, Überraschung, Unvertrautes, aber Spannendes, sich neu erleben.

Erotik lebt von der Fremdheit

Das Dumme daran ist: Knisternde Erotik lebt gerade nicht aus kuscheliger Nähe, sondern eher aus Fremdheit. Sexualität und Erotik wollen gerade nicht Berechenbarkeit, sondern Überraschung, nicht unbedingt das freundschaftliche Gespräch, sondern Eroberung. Verrückt ist das schon, denn Fremdheit, Überraschung, Unberechenbarkeit – das sind Momente, die eine langjährige Paargeschichte gerade nicht von vornherein einschließt. Ganz im Gegenteil:

Wenn Sie eine tiefe Bindung mit Ihrem Mann/Ihrer Frau eingegangen sind, wenn Ihr Bedürfnis wächst, sich loyal zu verhalten, und Sie Sorge füreinander übernehmen, dann liegt es sogar nahe, dass Sie einander schonen, sich keine Überraschungen zumuten und Ihre sexuellen Aktivitäten auf einen kleinen gemeinsamen Nenner reduzieren – also einen Bereich abstecken, wo Ihrer beider erotisch-sexuelle Phantasien, Wünsche und Ausdrucksformen Ihnen miteinander vereinbar erscheinen.

Und wenn Sie sich jetzt vorstellen, was Ihr Mann/Ihre Frau Ihnen nicht sagt, aber denkt?

Kaum etwas erfüllt uns mit mehr Unruhe als die sexuelle Gedankenwelt des anderen. Wenn Sie diese Unruhe spüren, dann unterliegen Sie nicht dem Missverständnis, dass Männer und Frauen gleiches denken, fühlen und wollen im Bereich der Sexualität. Sie und Ihr Mann, Sie und Ihre Frau sind auch hier verschieden, sind sich in diesem wichtigen Bereich auch fremd.

Aber genau das ist doch eigentlich eine wunderbare Voraussetzung für das Knistern! Genau das ist eventuell eine der Phantasien, die Sie haben, aber nicht aussprechen. Fremdes hat etwas Faszinierendes, etwas, das neugierig macht und erforscht werden will.

Aber Halt! Wollen Sie nicht erst einmal überlegen, ob Sie wirklich wissen wollen, was Ihr Partner/Ihre Partnerin denkt?

Conny Hübner